Chronik meines Lebens
Eine biografische Darstellung aus heutiger Sicht

1952, als ich das Licht der Welt in Isfahan erblickte, hatte bereits der Wegbereiter der neuen iranischen Literatur, der Schriftsteller und Bühnenautor Sadegh Hedayat, in seinem Pariser Exil Selbstmord begangen. Und im Iran roch die Luft nach Erdöl, Blut, Feuer und Schießpulver. Die Welt stritt um das iranische Öl. Mit Unterstützung der CIA wurde ein militärischer Putsch gegen den nationaldemokratischen
Premierminister Dr. Mohammed Mosadegh ausgeübt. So waren die Bilder am Tag meiner Geburt von gewaltigen Straßenkämpfen und der Machtprobe zwischen Armee und Straßendemonstranten geprägt.

Der junge Schah,
Mohammed Resa Pahlawi, der 1941 unter dem Einfluss der Alliierten, vor allem durch die britische und die sowjetische Regierung, im Alter von 22 Jahren als Nachfolger des mit Hitler sympathisierenden Vaters inthronisiert wurde, trat zurück. Schah Mohammed Resa Pahlawi, dem es nach Weltkriegsende und dem Abzug der Alliierten gelungen war, seine Macht zu stabilisieren, wurde ins Exil geschickt.

Ein paar Tage nach dem Putsch 1953 kehrte er jedoch wieder als Hauptdarsteller der Politbühne aus seinem italienischen Exil in den Iran zurück. Die Gegner und Mitglieder der Opposition wurden in Gefängnisse gesteckt bzw. zum Schweigen gebracht. Die Ereignisse zur Zeit meiner Geburt haben mich sehr geprägt. Ich bin mit dem Gefühl groß geworden, dass ich zu keinem bestimmten Land gehöre. Rückblickend denke ich, dass ich einem Ort angehörte, an dem es keine Stadt, keine Straße, kein Haus und keine Hausnummern gab, weil mein Land und meine Stadt Isfahan in Wolken versteckt und unsichtbar geworden war.

1956 wurde ich auf ein Foto unseres Großvaters aufmerksam, das in dem Besuchersaal unseres Hauses an der Wand hing. Mein Großvater war als konstitutioneller Revolutionär nach den Siegen in Tschahar Mahal, Bakhtiari, Isfahan und Kerman auf dem Weg in die Hauptstadt Teheran. Das Foto, das damals beinah fünfzig Jahre alt war, zeigt ihn in seinem bäuerlichen, revolutionären Gewand mit Gewehr in der Hand neben seinem
Pferd stehend in seinem Geburtsort Tschahl Ischtar. Tschahl Ischtar war im Mittelalter eine Festung mit zwölf Wachtürmen und bereits vor Christi Geburt ein Feuertempel zu Ehren der Gottheit Ischtar. Dieser Name wurde später die Bezeichnung für „Göttin“ schlechthin. Ischtar war die Göttin des Kampfes und der Liebe, ihr Hauptsitz war Uruk und ihr Gestirn war der Planet Venus. Sie hatte in allen größeren Städten Heiligtümer.

Und nun zurück zum Besuchersaal unseres Hauses in Isfahan und zum Foto meines Großvaters. Ich habe als vierjähriges Kind, dieses an der weißen Wand hängende Foto des Großvaters, den ich persönlich nie gesehen oder erlebt habe, über alles geliebt. Meiner Erinnerung nach saß ich Stunden vor diesem Foto, während ich Zwiebeln gekaut haben soll. Vielleicht wollte ich durch das intensive Betrachten des Fotos und die besondere Wahrnehmung, die durch meine tränenden Augen entstand, seinen Ausdruck und seine Miene erkennen und zugleich seine Wörter hören und verstehen. Vielleicht wollte ich seine Seele spüren und seinen Geist begreifen, um alles in meinem kleinen Gehirn aufzunehmen. Das gerahmte Foto und die Charakterzüge des Großvaters, meine Kindheitsträume voller Phantasien und Spiele, das Leben und die Freiheitsgefühle des Seins haben mich dazu gebracht, Rollenspiele zu lernen.

1960 sammelte ich unter dem lächelnden liebevollen Blick meiner Mutter Aghdas Riahi die Kinder aus der Nachbarschaft im Hof zusammen, um Theater zu spielen. Meine Geschwister Zahra, Shahin, Marzieh und ich führten eine Art iranische Version von Molière auf, mit einfachen Kostümen, selbst gebastelten Masken und schlichter Handlung. Die Geschichten nach Molière hatte ich von meinem Vater Abdolali Yazdani
erzählt bekommen, der in der Apotheke eines Krankenhauses arbeitete und selbst ein Komiker war. Seit Ende des 19. Jahrhunderts wurden im Iran Theaterstücke des französischen Komödiendichters Jean Baptisto Molière für die damalige, iranische Gesellschaft umgeschrieben und in Teheran und auch in Isfahan aufgeführt.

Damit begann im Iran eine neue Ära des westlichen Theaters neben der traditionell existierenden Theaterlandschaft, die vor allem durch das Trauerspiel
Tázeih und das Lustspiel Ruhosi verkörpert wurde. Diese künstlerische Arbeit der Denker und Kulturschaffenden trug Anfang des 20. Jahrhunderts zu einer konstitutionellen und verfassungsmäßigen Revolution bei. Und mein Großvater Arbab Yadollah gehörte dazu.

1961 schenkte Farah Diba, die dritte Ehefrau des Schahs, ihm den lang ersehnten Thronfolger. Zur selben Zeit führte der Premierminister Amini mit Einverständnis des Schahs Pahlawi gesellschaftliche und wirtschaftliche Reformen durch, um das Land vom Feudalismus in den Kapitalismus überzuführen. Bis dahin wurde uns beigebracht zu sehen, zu hören und zu gehorchen. Man suchte nicht selbst nach den Ursachen und Hintergründen der Dinge, sondern man nahm die Welt als gegeben hin. Man fragte nicht nach. Oft leuchteten zwar eigene Gedanken wie Blitze auf, sie erloschen jedoch in einem nächsten Moment, weil sie unerwünscht waren. Freie Wahlen und die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, kannten wir nicht.

Als ich neun Jahre alt war, entstand in meiner Heimatstadt Isfahan, parallel zu den Reformbestrebungen Aminis, eine sozialkritische, manchmal auch gegen die Autokratie des
„Schahanschah“ gerichtete Kultur. Hunderte von Künstlern, u.a. Maler, Miniaturmaler, Kalligraphiker, Kunsthandwerker, Schriftsteller, Dichter, Regisseure, Schauspieler, Musiker, Sänger,...lebten verstreut in meiner Stadt.

Außerdem lebten gläubige Menschen verschiedener Weltreligionen, wie Muslime, Christen, Juden und auch die Anhänger der alten persischen Religion Zarathustras, friedlich und mit Respekt zusammen - also keine Spur von religiösem Fanatismus. Um den Spitzeln der
Sawak, der Geheimpolizei des Schahs, zu entkommen, erfanden die Kunst- und Kulturschaffenden einen Sprachcode, der einem Symbolismus entsprach. In der Schule wurden wir durch unsere Schullehrer auf sozialkritische Künstler aufmerksam. Dichter wie Nima Juschidj, Akhawan Sales, Ahmad Schamlou und Siawasch Kasraii, Volksschauspieler wie Arhamsadr, Schriftsteller wie Bozorg Alawi, Jamalzadeh, Sadegh Hedayat und Mahmud Dolatabadi, Stückeschreiber wie Dr. Gholamhossein Saedi und Bahram Beyzaii und viele andere, begleiteten und beeinflussten uns, mal offen, mal in symbolischer Sprache.

Ich habe angefangen zu malen und Kalligraphie zu üben. Dann schrieb ich eine Kurzgeschichte mit dem Titel
„Ich bitte um Vergebung!“

1963 kam die sogenannte weiße Revolution. Der Schah entamtete Amini und ließ eine Bodenreform durch ein Referendum billigen. Dieses Referendum und die sogenannte „Weiße Revolution“ wurden in der Zeit des Kalten Krieges von der amerikanischen Regierung unter Präsident Kennedy inszeniert. Dem Schah überließen sie die Uraufführung. Der Oberspielleiter dieser Aufführung Mohammed Resa
Pahlawi, der sich nun Schahanschah Aria Mehr (König der Könige, geliebt von den Arien) nannte, verstaatlichte unter anderem die Wälder, beteiligte die Arbeiter am Unternehmensgewinn, bekämpfte das Analphabetentum, setzte die gesetzliche Gleichberechtigung der Frau und Ansätze einer staatlichen Alterssicherung durch.

Das Gesicht der Städte und des gesamten Landes änderte sich. Innerhalb kurzer Zeit gab es „freie Bauern“, eine „Armee der Bildung und Gesundheit“, „Freiheit der Frauen“ und so weiter. Diese nicht gewachsenen Veränderungen brachten die Gesellschaft durcheinander. Die sogenannten freien Bauern, die vor den Ruinen der traditionellen Landwirtschaft standen, zogen am Rande der Großstädte in Slums ein. Aufgeblasene Städte ohne notwendige Infrastruktur entstanden.

Das staatliche Fernsehen spielte eine große Rolle. Es wurden propagandistische Programme, Serien, Werbung, etc. gesendet. Gleichzeitig gab es mehr Festivals, mehr Theaterhäuser, mehr Kinos, mehr Produktionen, aber leider damit auch mehr Machtmittel in der Hand seiner Majestät „Schah Mohammad Reza Pahlawi, Schahanschah Aria Mehr“. Grundlage dieser „Revolution von oben“ war die Proklamation einer „Großen Zivilisation“. Schah Pahlawi stellte seine Herrschaft in die 2500-jährige monarchische Tradition des altpersischen Kaiserreichs.

Die Bevölkerung war jedoch entwurzelt und den religiösen Kräften des Landes waren die neuen Entwicklungen ein Dorn im Auge. Hintergrund war, dass
Resa Khan, der erste Schah aus dem Hause Pahlawi, der im Jahre 1925 durch einen Militärputsch gegen die Dynastie Kadscharen an die Macht gekommen war, sich die Geistlichkeit durch seine „unislamische“ Modernisierungs- und Industrialisierungspolitik zum Feind machte. Und das hatte die Geistlichkeit nicht vergessen. Die Mullahs störten sich besonders an der Orientierung am Westen. Und nun, im Zuge seiner „Weißen Revolution“, beschnitt auch Resa Khans Sohn, Mohammed Resa, die Privilegien der einst allmächtigen Mullahs. Dabei verlor auch der im Jahre 1900 geborene schiitische Geistliche Ayatollah Ruhollah Mussawi Khomeini endgültig 1963 seine Macht und seine Pfründe.

Die Agitation gegen den Schah, den Khomeini der systematischen Zerstörung der islamischen Kultur beschuldigte, war Anlass für seine Verhaftung. Er wurde in die Türkei abgeschoben, ließ sich aber im Irakischen Wallfahrtsort
Nadschaf, der Begräbnisstätte des Schia- Gründers Imam Ali Ibn Abitaleb, nieder. Damals war das in der Schule die Nachricht des Tages. In den dunklen Stunden jener Tage verlangten die geplagten Menschen im Iran mehr als Brot, Wasser und die sogenannten königlichen Reformen. Die Religion war ihre Hilfe und Stütze, ihr Daseinssinn. Und damit Religion funktionierte, musste die Rationalität aufgegeben werden.

Durch die Bodenreform kam es zur Entmachtung der Großgrundbesitzer, der auch die Geistlichkeit angehörte. Ayatollah Ruhollah Khomeini wurde zu einem unversöhnlichen Gegner des Schahs und jeglicher Politik einer Annäherung an den Westen.

1964 kam ich aufs Gymnasium. „Prägt das Abbild der Ewigkeit unser Leben?“, fragte ich mich und sehnte mich nach einem unbestimmten anderen Leben, das aus Kino, Theater, Schreiben, Spielen und Tun bestand. Denn das war für mich mehr als alle Religionen und politische Richtungen. In der Weltkulturgeschichte spielt die Zahl 12 eine große Rolle. Im Alten Persien, wenn ein Junge das 12. Lebensjahr erreicht hatte, wurde er als Erwachsener, also als Mann bezeichnet und auch so behandelt.

Nach der Schule und am Wochenende habe ich als freiberuflicher Touristenführer gearbeitet. Ich kannte die historischen Orte und die Geheimtipps meines Geburtsortes. Es waren unzählige Touristen aus dem Abendland im Iran unterwegs, besonders in südlicher Richtung nach Afghanistan, Pakistan und Indien. "May I help you? Would you like me to show you the city? You might be surprised." Mit diesen und ähnlichen Sätzen lockte ich Europäer und Amerikaner, meine Nachmittagsbegleiter zu werden.

So habe ich meine Sprachkenntnisse immer mehr verbessert und mich durch Dialog mit anderen Kulturen und Menschen vertraut gemacht.

Gleichzeitig entdeckte ich für mich das Kino. Das Kino hat mich immer fasziniert. Mein erstes Freiluftkino erlebte ich in Begleitung meines Vaters am Ufer des
„Zayande-rood“ mit sechs Jahren. Zayande-rood bedeutet der Fluss, der die Menschen zum Leben und zur Kreativität aufruft. Die Filme waren von und mit Charly Chaplin, auch mit Buster Keaton oder Laurel & Hardy.

Ich überzeugte meinen jüngeren Bruder Shahin, einen Filmprojektor zu bauen. Wir bauten zusammen ein primitives Ding aus einfachem Material, um zu Hause im Hof auf der großen weißen Wand - unserer Leinwand - Filme und Fotos zu zeigen. Gleichzeitig kaufte ich aus meiner Spartüte einen Fotoapparat, um Gesichter, Orte, Ereignisse und Kulturveranstaltungen in der Stadt zu fotografieren.

Die Fähigkeit, eine illusorische Welt zu schaffen, die so glaubwürdig war, wie die Welt selbst, wirkte auf mich wie ein Wunder. Zweimal in der Woche rannte ich in die Kinos und bat die Filmvorführer, mir das abgerissene und aussortierte Filmmaterial zu geben. Mühsam haben mein Bruder und ich die Bruchteile und Filmstücke zusammengebastelt und daraus eine neue Filmrolle gemacht. Dafür musste eine neue Geschichte für die Filmrolle, d.h. für die bewegten Bilder, die auf der weißen Wand gezeigt werden sollten, erfunden und erzählt werden. Das war eine Sisyphosarbeit, die uns begeisterte und viel Spaß brachte.

1966 empfand ich das Leben zum ersten Mal als eine lange Reise voller Überraschungen und Erfahrungen, auch voller Risiken. Mein Ziel war nicht das Wohlbefinden meiner Person, sondern ob ich meine Berufung finde. Es war mir wichtig, dass ich das, was ich tue - Schauspieler und Kulturschaffender zu sein - unzählige Male mit Lust und Begeisterung tun kann und so lebe, dass ich mir am Ende meines Lebens wünsche, in
einem neuen Leben wieder genauso zu leben. Jeder Augenblick des Lebens kehrt wieder. Mit 14 war ich ein Junge, der seine Heimat und deren dreitausendjährige Kultur- und Siedlungsgeschichte gut kannte und der nach mehr Wissen auch über andere Länder und Kulturen strebte. Ich war glücklich und zufrieden, wenn ich meine Kindheitsträume verfolgte.

Meine Wohnwelt Isfahan war durch unterschiedliche Epochen der Vergangenheit geprägt. Da waren zunächst die
Parsian, die Angehörigen der Religion Zarathustra, nach deren Glauben das Feuer im Feuertempel des antiken Isfahans nicht erlöschen durfte. Der heutige Feuertempel Atasch-Ghah im Westen der Stadt ist ein Beispiel dafür. Der persische König Kyros, Schahanschah von Parsian (528-558 v. Chr.), befreite die Juden aus der Gefangenschaft Babyloniens und siedelte sie auch in Isfahan an. Mehr als 1000 Jahre in Isfahan vergingen, bis der islamische Prophet Mohammed Medina und Mekka eroberte. Die Zeit der Könige war vorbei. Zwei Jahre nach Mohammeds Tod begannen die islamischen Araber unter Omar, dem Feldherrn und zweiten Kalifen, ihre Eroberungszüge. Sie unterwarfen in kurzer Zeit das byzantinische Syrien, Ägypten sowie das gesamte altpersische Sassanidenreich. Die Niederlage der sassanidischen Armee in der Schlacht bei Kadisiya am Euphrat im Jahre 637 nach Christus bescherte den Muslimen die sassanidische Hauptstadt Ktesiphon. Und im Jahre 644 nach Christus nahmen sie Isfahan ein. Die Bewohner meiner Stadt wurden gezwungen, Muslime zu werden. Vor etwa tausend Jahren entstand im jüdischen Viertel Isfahans die große prachtvolle Moschee: „Masdjed Djame“.

Im Mittelalter wurde Isfahan unter den
Saffawiden, die Nachfolger der türkischen Eroberer, Hauptstadt des Irans. Meine Heimat aus der Kindheit war eine Stadt mit damals einer halben Million Einwohnern auf einer fruchtbaren Hochebene, in der es noch heute unzählige, denkmalgeschützte Orte aus den damaligen Zeiten gibt. Jedes dieser denkmalgeschützten Wohnhäuser ist ein Palast, ein Museum, das in seiner architektonischen Harmonie erscheint. Was die Isfahanischen Architekten im Laufe der Geschichte dieser Stadt erbauten, wie zum Beispiel Architekt Sheikh Bahaii, spiegelte den Triumph des Individualismus wider.

Ich wollte gerne die Vergangenheit mit geschriebenen Worten und bewegten Bildern festhalten und zu einem kollektiven Gedächtnis weiterleben lassen. Um eine Sprache zu finden, die sowohl visuell, kommunikativ und vielfältig ist, als auch Ästhetik, Bewusstsein und Dynamik besitzt, benötigte ich ausreichende Lebenserfahrung, die ich in jenem Alter noch nicht hatte. So setzte ich meine Reise fort.

Auf dem
„Gymnasium Saéb“, das nach dem berühmten Isfahanischen Dichter „Saéb-e Tabrizi“ benannt wurde, wurde ich vom Schuldirektor beauftragt, den neugegründeten Theatersaal unseres Gymnasiums als künstlerischer Berater zu begleiten und die Bibliothek zu gestalten. Und das war wunderbar und ideal für mich. In der schulfreien Zeit hatte ich nicht nur die Möglichkeit, Bücher zu lesen, sondern auch einen Ort gefunden, um Theater zu spielen.

1968 hatten die politische Aufbruchsstimmung und die Protestaktionen der 68er in Europa eine positive Auswirkung auf die junge Generation der Iraner, insbesondere der Studenten. Ich war gerade 15 Jahre alt, als ich im Sommer 1967 von der Anti-Schah-Demonstration in Deutschland hörte. Damals hatte der Schah seine Europareise abgebrochen und war in den Iran zurückgekehrt.

Im
„Hotel Schah Abbas“ von Isfahan, als ich im Sommer in den Schulferien europäische Touristen betreute und mit ihnen Stadtrundfahrten machte, erfuhr ich, dass am 2. Juni jenes Jahres, während des Schah-Besuchs in Deutschland, ein Student Namens Benno Ohnesorge in Berlin erschossen wurde und dass junge Menschen auf die Barrikaden gegangen waren. Es kam zu Straßenschlachten zwischen den Jubelpersern, den Anhängern des Schahs, und den progressiven Studenten in Europa, die gegen den Schah demonstrierten. Es war eindeutig ein Ausbruch der emotionalen Impulse gegen den Diktator. Ich war mir sicher, dass diese junge Generation nach neuen Wegen suchte, ohne Diktatur und Verfolgung.

Diese neue Generation der Iraner wollte mit ihrer Rebellion den Schleier des Schweigens durchbrechen. Sie hatte emanzipatorische Visionen. Sie war gegen die autoritären Strukturen des Staates. Sie wollte Freiheit und Demokratie erreichen. Sie wollte eine Gesellschaft aufbauen, die sozialer und gerechter ist.

Und nun, im April diesen Jahres, wurde noch ein Mordanschlag, diesmal auf
Rudi Dutschke, in Deutschland ausgeübt. Die Eskalation der Gewalt, die zur Enstehung der RAF führte, war vorprogrammiert. Im Iran setzte der revolutionäre Flügel der Iranischen Aktivisten auf den bewaffneten Kampf gegen den Schah. Es entstanden die Organisationen der „Fedai Guerillas“ und der „Modjahedin Guerillas“. Diese Stadtguerillas rückten ins Rampenlicht und sie wurden zu Idolen der jungen Generation. Auf ihre Gewaltaktionen gegen den Diktator folgte eine noch brutalere Gegenreaktion der Schah-Geheimpolizei (Sawak).

Mit 18 Jahren absolvierte ich erfolgreich mein Abitur und ging aus meiner Heimatstadt Isfahan weg.

1970 verließ ich Isfahan, um in Teheran Volkswirtschaft zu studieren. Während meines Studiums in Teheran trat ich in einer neugegründeten Theatergruppe als Schauspieler auf. Gründer und Leiter der Gruppe war der iranische Schauspieler und Regisseur Hormuz Hedayat. Wir haben Theaterstücke u.a. von Jean Paul Sartre, Bertold Brecht, aber auch von iranischen Dramatikern wie Bahram Beyzaie und Dr.
Gholamhossein Saedi auf die Bühne gebracht. Gleichzeitig machte ich Praktika bei verschiedenen iranischen Filmproduktionen, die hauptsächlich im Zentrum der Stadt ihre Büros hatten.

In der „Arbab Djamschied“ Straße, in der Nähe von Meydan-e Ferdousi, wo ich arbeitete, standen manchmal Hunderte von Statisten und Schaulustigen, um Szenen zu spielen oder um das Shooting zu beobachten. Ich arbeitete für die Produktionsfirmen, wie „Oskar Filmproduktion“, „Panasit Filmproduktion“ und „Djourak Filmproduktion“. 1973 stand ich vor der Kamera des berühmten iranischen Filmregisseurs
Khosrow Haritasch, der seinen damals dritten Kinofilm mit dem Titel „Bis Mittag nackt und eilig“ realisierte. Ich spielte in diesem Film die Rolle eines Photographen.

Mein Aufenthalt in Teheran dauerte vier Jahre. Im Sommer 1974 verließ ich den Iran, mit dem Ziel, in den USA weiter zu studieren.

1974, als ich in den USA ankam, war die amerikanische Gesellschaft noch vom Vietnam-Krieg belastet. Sie litt unter dem Trauma des verlorenen und sinnlosen Krieges. Auf dem Campus der „Western Michigan University“ in Kalamazoo, wo ich mein Magisterstudium fortsetzte, und der „State University of Michigan“ in An Arbor und East Lansing konnte man den Überresten der systemkritischen Generation - den Blumenkindern, Hippies, Black Panthers, Linken und sonstigen Aktivisten gegen den Krieg - begegnen.

Besonders nach den Morden an
Martin Luther King und Malcom X erhoben sie die Stimme für Frieden und mehr Zivil- und Bürgerrechte. Im Kalten Krieg bekämpften Amerikaner die „gottlosen Kommunisten“. Und Vietnam wurde ihr Verhängnis. Ich habe mich mit einem Studenten angefreundet, der als amerikanischer Soldat in Vietnam gekämpft hatte. Er hatte keine Beine mehr, saß im Rollstuhl und erzählte mir viel von der Grausamkeit des Krieges und den sinnlosen Ausrottungsversuchen an der vietnamesischen Bevölkerung durch die amerikanische Armee. Dieser Freund - zugleich mein „roommate“ im „dormitory“ - war nachts von Alpträumen geplagt und wachte schweißnass auf. Ich pflegte und beruhigte ihn, soweit wie möglich. Sein Schicksal und unser Gedankenaustausch über die Absurditäten in der Politik brachte mich dazu, gegen das Regime des Schah Mohammad Resa Pahlawi kulturell aktiv zu werden.

Die
„Konföderation der Iranischen Studentenbewegung“ war damals eine Dachorganisation, die die iranischen Studenten in den USA und in Europa gegen den Diktator mobilisierte.

1976 verließ ich Michigan mit einem „Masters Degree“ in Volkswirtschaft, um in Chicago ein Aufbaustudium in Theater und Film zu beginnen.

1976 war der Diktator Schah Mohammad Resa Pahlawi - mehr denn je - vom Volk verhasst und gefürchtet, wie ein Wolf, der von den Hunden gehasst und gefürchtet wird. Ihn aus seinen Palästen zu jagen, die aus den Gewinnen der Petrodollars erbaut worden waren, bedeutete, dem Volk Sinn für das Recht zu vermitteln. Dieses Ziel wurde zu unserer Hauptaufgabe in den zahlreichen Versammlungen der iranischen
Studentenbewegung. Wir waren wie bissige Hunde, die immer wieder bellten, um zu betonen, dass die Wahrheit dort ist, wo das Volk ist. Unsere Parole war: „Down with the Shah“.

Wir waren jung und Suchende auf dem Weg, um dem Volk zu Recht und Ehre zu verhelfen. Aus dem Volk im Iran waren wir in die USA gekommen, wo uns die Stimme der Freiheit hartnäckig und klug zu Ohren kam. Wir dachten, wir müssten als Fürsprecher des iranischen Volkes agieren. War das eine Illusion? Wir wollten den gottlosen Monarchen, der dem Volk das Herz brach und zum Leid verhalf, in die Wüste schicken. Ich hatte mich entschlossen, kulturell und künstlerisch den Kampf gegen den Diktator zu unterstützen.

In Chicago gründete ich 1976 eine Theatergruppe und schrieb einige Stücke, z.B.
„The Flowers of Freedom“ und „Shah goes to Washington“. Diese Stücke wurden in verschiedenen Bundesstaaten Amerikas mit der Unterstützung der Konföderation der iranischen Studentenbewegung aufgeführt. Die Themen der Bühnenstücke dienten der Aufklärungsarbeit und behandelten Probleme mit den Machthabern im Iran.

Abends, nach dem Unterricht an der „University of Illinois at Chicago Circle”, an der ich Theaterwissenschaft studierte, probte ich mit meiner Truppe, die aus iranischen Studenten und Studentinnen bestand. Hatte ich keine Probe, arbeitete ich nachts, wie viele andere Iraner, als Taxifahrer, Kellner oder Barkeeper, um das Studium in Amerika finanzieren zu können.

1979, in der Mitte meines Filmstudiums am „Columbia College Chicago“, war ich dabei, einen Kurzfilm mit dem Titel „24 Stunden Traum und Wachsamkeit“, nach einer Erzählung von Samad Behrangi, fertig zu stellen, als die Revolution im Iran ausbrach.

Die ganze Regierungszeit des Schahs war bereits von Aufständen, Protestaktionen und Attentaten durchzogen, denen er mit diktatorischer Härte, Folter und Hinrichtungen begegnete. Der Schah verwüstete in seiner Amtzeit die iranische Seelenlandschaft, und nun, 25 Jahre nach meiner Geburt, schien die Herrschaft der Dynastie Pahlawi zu Ende zu gehen. Ich persönlich habe mir eine sanfte Revolution ohne Blutvergießen gewünscht.
Jimmy Carter, der Präsident der Vereinigten Staaten, hatte sich in seiner Außenpolitik für die Menschenrechte im Iran eingesetzt. Er sollte zwischen dem Schah und Ayatollah Khomeini vermitteln. Doch der kompromisslose Ayatollah war bereits in Paris, um den blutigen Aufstand im Iran zu dirigieren.

1980 war die Zeit der Revolution, die ohne geistige Wurzeln schwer definierbar und überhaupt nicht möglich gewesen wäre. Mit dem Glauben an Freiheit, Frieden, Demokratie und soziale Gerechtigkeit flog ich über Kennedy Airport in die Heimat zurück. Und ich war nicht der einzige, Tausende kehrten voller Hoffnung in die Heimat zurück. Im Flugzeug nach Teheran träumte ich von einem Modell, auf das man hätte
stolz sein können: Es gab einen runden Tisch für eine Verhandlung zwischen den Ayatollahs Khomeini, Taleghani, Montazeri und den Sprechern der linken, säkularen Opposition des Landes auf der einen Seite und dem Schah und seinen Generälen auf der anderen Seite. Die Moderation dieser Verhandlung übernahmen die westlichen Mächte. Das Ergebnis sollte eine Arbeitsgruppe sein, die sich mit der Lösung politischer, sozialer, wirtschaftlicher und kultureller Probleme im Iran beschäftige.

Ich wurde jedoch aus meinem Traum durch die lauten Gesänge der kämpferischen Studenten geweckt. Mein Traum ließ sich nicht verwirklichen. Die Studenten in diesem Flugzeug waren ein gutes Beispiel für die sehr radikalgewordene iranische Gesellschaft. Das Land war geteilt zwischen Gut und Böse. Der Schah war nun das lebendige Symbol des Bösen. Er musste weg. Ich sah kaum Chancen, dass sich die unterschiedlichen Kräfte des Landes friedlich einigen könnten.

Als ich im Teheraner Flughafen
„Mehrabad“ ankam, dachte ich: Oh Gott, es gibt so unglaublich viel Aufklärungsarbeit und kulturpolitische Aufgaben zu erledigen. Unsere aller erste Aufgabe war, uns über uns selbst und nicht über andere zu definieren. Für unser Dasein als eine Nation waren Zukunftsperspektiven, Glück und die Hoffnung auf eine zivile Gesellschaft sehr wichtig.

Die Ereignisse überschlugen sich. Die Islamische Verfassung des Irans, die durch ein Referendum gebilligt wurde, war ein Triumph für den Groß-Ayatollah Khomeini, der inzwischen charismatischer Revolutionsführer und Religionsoberhaupt geworden war.
„Islamische Republik Iran“ wurde als ein geschlossenes System von seiner Heiligkeit Imam Khomeini gegründet und damit war die Eskalation der Gewalt vorprogrammiert. Plötzlich war da eine gebilligte islamische Verfassung, die an den Idealen und Visionen der Bevölkerung vorbeiging. Man suchte nicht nach Staatsformen, die es ermöglichten, unterschiedliche iranische Völker mit Akzeptanz, Respekt und Toleranz friedlich miteinander leben zu lassen. Die Verfassung hat das Land gespalten. Es gab sogar die Gefahr des Bürgerkrieges.

Dann geschahen zwei Ereignisse, die das Land und seine Menschen völlig veränderten: die Geiselnahme der Amerikaner in der US-Amerikanischen Botschaft in Teheran durch die Studenten und der Beginn des 8-jährigen Iran-Irak Krieges. Menschen begannen sich zu töten bzw. zu zerfleischen: Iraner gegen Iraner, Iraker gegen Iraner, Väter gegen Söhne, Junge gegen Alte, alle gegen den Westen, vor allem gegen die USA und alles im Namen der Religion.

Es war die Todesstunde des freien Bürgers, der klerikale Wächterrat beschloss alles über die Köpfe der Menschen hinweg. Islamische Werte sollten mit dem Gesetz und der Justiz verbunden werden. Das Motto der Revolution, die eine Rückkehr zur Scharia propagierte, bestand aus religiösen Symbolen, Konzepten und Sprachen. Die Säkularisierung der Gesellschaft und die königlichen Reformen, die in den vergangenen Jahrzehnten auf wackeligen Beinen standen, zerbrachen.

Wer es wagte, die Islamische Revolution und die Herrschaft der politisch-religiösen Geistlichkeit abzulehnen, wurde gnadenlos niedergemacht. Es war eine bedeutsame, kulturelle Entwicklung im Gange. Die Aufgabe der neuen islamischen Regierung war, die Machtstrukturen des Irans als Grundlage für eine neuartige Innen- und Außenpolitik völlig zu verändern. Noch herrschte religiöser Optimismus. Man dachte an eine Staatsform, die islamisch und republikanisch sein sollte. Man hatte zwei Stützen: die Religion und die Demokratie. Im Laufe der Zeit opferte man jedoch vorhandene Freiheiten. Die Rede-, Presse-, Wahl- und Versammlungsfreiheit wurde Stück für Stück beschnitten, verboten und schließlich kaputtgeschlagen.

Es war der Anfang eines Prozess, der bis heute anhält. Kann Religion ein Garant für Freiheit sein oder ist Freiheit als Maxime des Zusammenlebens der Garant für die Religion? Das blieben ungelöste Fragen. Und dann kam es außerdem zum Krieg, in dem der Iran und seine Menschen sehr viel Leid und Verlust erleben sollten. Im Sommer 1980 heiratete ich kurz vor dem Beginn des Krieges, meine Freundin Nima, die ebenfalls frisch aus den USA in die Heimat zurückgekehrt war.

1981 hatte ich weder die Intention noch Lust, mich parteipolitisch zu beschäftigen. Ich wollte wie bisher kulturpolitisch aktiv bleiben und im Rahmen meiner Fähigkeiten, unsere Kunst und Kultur pflegen. Ich kehrte zurück zu den alten Filmproduktionsfirmen aus der Schah-Zeit, die ernsthaft in der Krise waren, sich aber noch auf wackeligen Beinen aufrecht hielten. Wir diskutierten und schmiedeten Pläne, die vielleicht zur
Veränderungen der Kinolandschaft im Iran hätten beitragen können. Ich begann an einem Filmprojekt „Ghawarehban“ von und mit Mahmud Dolatabadi zu arbeiten. Dieses Kinofilmprojekt kam nach Wochen der Vorbereitung und Proben mit Schauspielern, u.a. Parwiz Fannizaden, Ali Nassirian, Mehdi Fathi und Farima Fardjami, nicht zu Stande, weil der Film zu kritisch war. Nach dieser Enttäuschung wurde ich statt dessen von der iranischen Handelskammer engagiert, als Dozent in der Hochschule für Management zu unterrichten. Dennoch hatte ich den Glauben an eine bessere Zukunft nicht verloren. Mein Sohn, Kaveh, der heute an der „Humboldt Universität zu Berlin“ Geschichte und an der „Freien Universität zu Berlin“ Phliosophie studiert, kam im November 1981 auf die Welt.

1985 verließ ich den Iran, um in Deutschland einen Neuanfang zu schaffen.